Aderlass nach Hildegard von Bingen

Die Hl. Hildegard (1098 – 1179) hinterließ neben drei großen religiösen Visionsschriften (Scivias, Liber divinorum operum, Liber vitae meritorum) auch zwei visionäre medizinische Schriften: Physica – Heilkraft der Natur, sowie Causae et curae – Ursachen und Behandlung der Krankheiten.

In Causae et curae beschreibt die Hl. Hildegard unter anderem auch zwei Entgiftungsmethoden, den Aderlass und das nasse (blutige) Schröpfen.

„Sind bei einem Menschen die Gefäße mit Blut gefüllt, so müssen sie von dem schädlichen Schleim und dem durch die Verdauung gelieferten Saft durch einen Einschnitt gereinigt werden …“

DER ADERLASS ist eine Blutentnahme aus einer der drei Venen in der Ellenbeuge, wobei man das Blut über eine Kanüle frei (ohne Vakuum) in ein entsprechendes Gefäß fließen lässt. Nach einer Ruhephase kann es anschließend einem Sichtbefund unterzogen werden.

Weiters müssen für einen fachgerechten Aderlass im hildegardischen Sinn verschiedene andere Bedingungen erfüllt sein:

  1. Der Patient muss nüchtern zum Aderlass kommen. Das ist wichtig, weil jede vorherige Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme dazu führt, dass sich das Blut in den Adern mischt und so nicht nur das schlackenreiche Blut aus der Vene fließt, sondern auch das mit Nährstoffen angereicherte Blut.
  2. Die Natur muss eine gewisse Konstellation aufweisen: der Aderlass soll nur vom ersten bis sechsten Tag nach Vollmond durchgeführt werden. Dazu schreibt die Hl. Hildegard: „ ….Es soll aber bei abnehmendem Mond zur Ader gelassen werden, also am ersten Tage, wenn der Mond anfängt abzunehmen, oder am zweiten, dritten, vierten, fünften oder sechsten Tag, dann nicht mehr, weil ein früher oder später durchgeführter Aderlass nicht so viel Nutzen bringen wird…. Nicht zur Ader lassen soll man bei zunehmendem Mond, weil solcher Aderlass schädlich ist…“
  3. Der Patient darf nicht zu jung und nicht zu alt sein. Hildegard gibt genaue Anweisungen über die Menge des Aderlassblutes bei verschiedenen Lebensabschnitten. So sollte vor dem 20. Lj. kein Aderlass gemacht werden, selbst wenn eine Krankheit einen Aderlass notwendig erscheinen lässt. Zwischen dem 20. und 30. Lj. kann zur Ader gelassen werden, wenn der Gesundheitszustand dies erforderlich macht, jedoch nur eine kleine Menge Blut (ca. 20 ml). Ab dem 30. bis zum 50. Lj. ist die „Hochzeit des Aderlasses“. Während dieser Lebensphase soll ein- bis viermal jährlich, je nach Konstitution und Gesundheitszustand, ein Aderlass von 50 bis 150 ml gemacht werden. Während dieser Zeit wird er zur Erhaltung der Gesundheit von Gesunden und zur Wiedererlangung der Gesundheit auch von Kranken regelmäßig gemacht. Ab dem 50. Lj. sollte nur noch einmal im Jahr und auch nur mehr die Hälfte des bis dahin gelassenen Blutes entzogen werden. Männer dürfen bis zum 80. Lj. einen Aderlass machen, Frauen hingegen bis zum 100. Lj.
  4. Die wichtigsten Indikationen für einen Aderlass sind: Kopfschmerzen, Migräne, erhöhter Augendruck, Ohrgeräusche, Entzündungen im Kopfbereich, Herzrhythmusstörungen, Koronarsklerose, alle Arten von Leber-und Milzleiden, Atembeschwerden, Lungenerkrankungen im Allgemeinen, sowie zur allgemeinen gesundheitlichen Hygiene.

Nach einem erfolgten Aderlass ist es wichtig, dass sich die Patienten schonen und eine dreitägige „Aderlassdiät“ einhalten.

Es ist zu beachten, dass die Augen nach dem Aderlass empfindlich auf offenen Feuerschein, starke Sonnenbestrahlung, sowie Arbeit am Bildschirm reagieren. Diese Störfaktoren gilt es drei Tage lang zu meiden.

Zudem sollte man mindestens für 3 Tage auf rohes Obst und rohes Gemüse, auf gebratenes Fleisch, gepökelte und geräucherte Nahrungsmittel, sowie starken Wein verzichten, weil diese dem Blut während dieser Zeit zu viel Schleim liefern. Dieser kann sich an den Gefäßwänden anlegen, was zunächst zu einer Verschleimung, später zu einer sogenannten Verkalkung der Gefäße führt. Längere Zeit, also für mindestens 2 Wochen nach einem Aderlass, sollte man auf Käse, Topfen, Joghurt verzichten, weil die besonders intensive Schleimlieferanten sind.

Folgende Nahrungsmittel können nach einem Aderlass bedenkenlos gegessen werden:

  • Gekochtes Obst (Apfel, Birne, Kirsche, Himbeere, Brombeere, Quitte, Edelkastanie…)
  • Gekochtes Gemüse (Fenchel, Bohnen, Kichererbsen, Kürbis, Möhren, Pastinaken, rote Bete…)
  • Gekochtes Fleisch (Schaf, Ziege, Rind, Huhn, …) KEIN SCHWEINEFLEISCH
  • Gewohnte Speisen (Mehlspeisen aus Dinkelmehl, oder Weizenvollkornprodukte)
  • Dinkelbrot, Butter

Als Getränke sollte man während der Drei-Tage-Aderlassdiät Fencheltee, leichten, bzw. gewässerten Wein oder Bier verwenden

Entnommen aus: Reinhard Schiller, HILDEGARD – Entgiftung des Körpers, Pattloch Verlag, Augsburg